Interim Management im internationalen Kontext: Kulturelle Unterschiede erfolgreich meistern

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Inhaltsverzeichnis

Die Rolle eines Interim Managers ist per se herausfordernd: Man wird in ein Unternehmen gerufen, um in kurzer Zeit klare Ergebnisse zu liefern. Noch komplexer wird es jedoch, wenn sich diese Aufgabe auf internationalem Parkett abspielt. Unterschiedliche Kulturen, Werte und Arbeitsweisen fordern nicht nur Flexibilität, sondern auch ein tiefes Verständnis für zwischenmenschliche Dynamiken und Diversität. Doch wie kann man als erfahrener Interim Manager kulturelle Unterschiede erfolgreich meistern?  

Kultur: Mehr als nur Geografie

 Ich erlebte es oft, dass innerhalb eines Konzerns die Unternehmenskultur der Muttergesellschaft, in meinem Fall eine deutsche, maßgeblich die Werte und Normen aller Standorte prägte. Dabei spielt die Frage eine große Rolle: Welche Werte werden vermittelt und gelebt? Denn Kultur ist nicht statisch, sondern in Bewegung. Sie wird durch soziale Interaktionen geformt und beeinflusst – nicht nur geografisch, sondern auch auf Unternehmensebene. Ein anschauliches Modell zur Erklärung von Kultur ist das Eisbergmodell: Das, was wir oberhalb der Wasseroberfläche sehen – etwa Gesten, Rituale oder Symbole – ist nur ein kleiner Teil der Kultur. Der Großteil bleibt unsichtbar und besteht aus tief verwurzelten Werten, Normen und Überzeugungen. 

Zum Beispiel sehen wir im Maschinenbau oft Teams, die aus unterschiedlichen Nationalitäten zusammengesetzt sind. Schweißer aus Polen arbeiten Seite an Seite mit Ingenieuren aus Deutschland. Doch was bleibt unter der Wasseroberfläche verborgen? Es ist das kulturelle Verständnis, wie Zusammenarbeit und Vertrauen funktionieren. Polen legen viel Wert auf persönlichen Kontakt und Loyalität, während in Deutschland eher Sachorientierung und Struktur im Vordergrund stehen. 

Vertrauen aufbauen: Sach- vs. beziehungsorientierte Kulturen

Eines der größten kulturellen Dilemmata im internationalen Geschäftsumfeld ist der unterschiedliche Umgang mit Vertrauen. In sachorientierten Kulturen wie Deutschland oder den USA wird Vertrauen durch Kompetenz und klare Ergebnisse aufgebaut. Hier gilt: Wer seine Aufgaben gut macht, gewinnt Vertrauen. In beziehungsorientierten Kulturen wie China oder den südamerikanischen Ländern hingegen spielt die persönliche Beziehung eine größere Rolle. Vertrauen entsteht erst, wenn man sich als Person kennt und schätzt. Geschäftsgespräche beginnen häufig mit Smalltalk und persönlichen Themen, bevor es zum eigentlichen Kern kommt. 

In meiner Erfahrung als Interim Manager habe ich gelernt, dass es entscheidend ist, diese Unterschiede zu verstehen und entsprechend zu agieren. In China wird es als unhöflich angesehen, sofort mit geschäftlichen Themen zu beginnen, während in Deutschland Effizienz und Struktur im Vordergrund stehen. Diese unterschiedlichen Erwartungshaltungen zu balancieren, erfordert Fingerspitzengefühl und kulturelle Sensibilität. 

Kommunikation: Indirekte und direkte Ansätze

Die Art und Weise, wie wir kommunizieren, unterscheidet sich ebenfalls stark je nach Kultur. In niedrig-kontextuellen Kulturen wie Deutschland oder den USA ist die Kommunikation direkt, klar und sachbezogen. Man sagt, was man denkt, und erwartet dasselbe von seinem Gegenüber. In hoch-kontextuellen Kulturen wie Japan oder China ist die Kommunikation hingegen oft indirekt und subtil. Bedeutungen werden nicht direkt ausgesprochen, sondern müssen zwischen den Zeilen gelesen werden. 

Beispielsweise kann ein direktes Feedback, das in Deutschland als hilfreich angesehen wird, in China als zu konfrontativ empfunden werden. Es ist hilfreich, sich in die Schuhe des Gegenübers zu stellen – „Walk a mile in someone else’s shoes“, wie es so schön heißt, denn “A” in Deutschland kann manchmal “B” in Argentinien heißen und umgekehrt.  

Zeitwahrnehmung: Monochrone vs. polychrone Kulturen

Ein weiterer Aspekt, der in internationalen Projekten oft unterschätzt wird, ist die Zeitwahrnehmung. In monochronen Kulturen wie Deutschland oder den USA ist Zeit linear und wird strikt eingehalten. Termine und Deadlines sind verbindlich, und Pünktlichkeit wird als Zeichen von Respekt angesehen. In polychronen Kulturen wie in vielen südamerikanischen Ländern ist der Umgang mit Zeit flexibler. Hier steht die Aufgabe im Vordergrund, nicht der Zeitplan. 

Diese Unterschiede können zu Missverständnissen und Fristproblemen führen, wenn beispielsweise deutsche Teammitglieder erwarten, dass Meetings pünktlich beginnen, während in Chile ein eher entspannterer Umgang mit der Zeit gepflegt wird. Es ist wichtig, diese kulturellen Erwartungen zu berücksichtigen und flexibel zu bleiben und die eigene Zeitwahrnehmung innerhalb eines Projekts dementsprechend anzupassen.  

 

Der Umgang mit Regeln, Strukturen und Hierarchien

Ein weiterer entscheidender Aspekt, den es im internationalen Interim Management zu beachten gilt, ist der Umgang mit Regeln, Strukturen und Hierarchien. In Ländern wie Deutschland gilt das Rechtsbewusstsein als besonders stark ausgeprägt. Regeln werden dort als unumstößlich angesehen, und man erwartet, dass sie strikt eingehalten werden. In südländischen oder südamerikanischen Ländern wie Italien, Brasilien oder Argentinien hingegen geht man oft flexibler mit Regeln um – nach dem Motto: „Es kommt darauf an“. Diese verschiedenen Herangehensweisen erfordern ein gutes Gespür dafür, wie man in unterschiedlichen Ländern navigiert und dabei effektive Lösungen findet. 

Zusätzlich zum Umgang mit Regeln variiert auch das Hierarchieverständnis stark zwischen verschiedenen Kulturen. In Ländern mit hoher Machtdistanz wie China oder Indien sind Hierarchien strikt, und Entscheidungen werden oft ohne Rücksprache mit unteren Ebenen getroffen. Mitarbeiter folgen hier Anweisungen, ohne sie in Frage zu stellen. In Deutschland oder den Niederlanden, wo die Machtdistanz geringer ist, sind die Hierarchien flacher, und Führungskräfte erwarten, dass ihre Mitarbeiter aktiv an Entscheidungsprozessen teilnehmen. 

Für mich bedeutet dies, dass ich mich je nach Land und Unternehmenskultur entweder stärker auf eine autoritäre oder eine partizipative Führungsweise einstellen muss, denn das Regel- oder Strukturenverständnis ist eine kulturelle Diversität, die von klein auf vermittelt wird. Als Führungskraft wäre der Versuch diese Strukturen zu ändern ein zeitaufwendiger Prozess und meist ein Griff ins Leere, weshalb Flexibilität und ein tiefes Verständnis dieser kulturellen Unterschiede der Schlüssel sind, um sowohl in stark hierarchischen als auch in kooperativen Umfeldern erfolgreich zu arbeiten. 

Praktische Tipps für erfolgreiches internationales Interim Management

Wie meistert man als Interim Manager also diese Herausforderungen in der Praxis?  

Hier einige zentrale Punkte:  

Kommunikationsstil anpassen
Kommunikation ist das Herzstück jeder erfolgreichen Zusammenarbeit.
Anpassungsfähigkeit zeigen
Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind unerlässlich. Die Arbeitszeiten, Werte und Einstellungen in verschiedenen Ländern können stark variieren.
Experten nutzen
Ein starkes Netzwerk vor Ort ist unbezahlbar. Interkulturell und international erfahrenen Manager können wertvolle Einblicke geben und bei der Navigation durch die kulturellen und bürokratischen Feinheiten helfen.
Kulturelle Schulungen und Reisen
Es lohnt sich, gezielte kulturelle Schulungen zu besuchen oder vor Ort Zeit zu verbringen.

Interim Management im internationalen Kontext ist zweifellos herausfordernd, aber auch unglaublich bereichernd. Es erfordert ein tiefes Verständnis für kulturelle und unternehmerische Werte, Flexibilität und die Fähigkeit, Vertrauen über Grenzen hinweg aufzubauen. Doch wer es schafft, kulturelle Unterschiede als Chance zu begreifen, wird langfristig erfolgreicher und effizienter arbeiten. Denn gerade im internationalen Kontext ist es diese Vielfalt, die Unternehmen einzigartig und zukunftsfähig macht. 

Conclusions

  • Kulturelle Anpassungsfähigkeit: Interim Manager müssen kulturelle Unterschiede verstehen und flexibel darauf reagieren.
  • Vertrauensaufbau: Vertrauen basiert in verschiedenen Kulturen entweder auf Kompetenz (z.B. Deutschland) oder persönlichen Beziehungen (z.B. China).
  • Kommunikationsstil: Direkte vs. indirekte Kommunikation erfordert Anpassung je nach Kultur.
  • Zeitwahrnehmung: Unterschiedliche Zeitvorstellungen (monochron vs. polychron) können zu Missverständnissen führen.
  • Hierarchie und Regeln: Interim Manager müssen ihre Führungsweise je nach kulturellem Verständnis von Hierarchie und Regeln anpassen.

Haben Sie Anregungen oder Gedanken zu diesem Thema, dann schreiben Sie mir.

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